# Prostprivacy – maha’s blog

Prostprivacy

Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber wenn ich „Postprivacy“ schnell genug spreche, kommt dabei „Prostprivacy“ heraus. Es handelt sich tatsächlich um einen Zungenbrecher – jedenfalls für mich. Seit einiger Zeit macht ja die datenschutzkritische Spackeria von sich reden, und ich habe schon zweimal über das Thema gepodcastet, einmal mit Ben und @fasel im Klabautercast 57 und mit alios im Klabautercast 60.

Dort habe ich die Meinung vertreten, dass Datenschützer und Spackeria keine Gegner sind: Denn Datenschützer fordern informationelle Selbstbestimmung als Freiheitsrecht vom Staat und die Spackeria will auf die Gesellschaft einwirken, um dort einen neuen, entspannteren Umgang mit Daten und Privatheit zu verbreiten. Ich habe die Spackeria mit der Schwulenbewegung der 1980er verglichen, die die Schwulen zum Coming-Out aufgerufen hat und somit Vorläufer von Postprivacy war, sich gleichzeitig aber auch gegen Rosa Listen und die Registrierung von AIDS-Kranken gewehrt, also Datenschutzpositionen vertreten hat.

Im Klabautercast hat sich in den Kommentaren mspro zu Wort gemeldet:

Die Formel ”Schwulen-Comingout gut, Schwulenregister böse” ist einfach nicht mehr möglich im digitalen Zeitalter und kommt auch nicht wieder.

Er verweist auf Programme, mit denen sich Schwule in sozialen Netzwerken identifizieren lassen („Gaydar“), und darauf, dass ja jeder ein Schwulenregister im Netz anlegen könne. Ein anderer Kommentator schreibt, dass Gayromeo ja schon ein solches Schwulenregister sei.

Hier macht mspro einen Denkfehler: Selbstverständlich hat er Recht, dass jeder ein Schwulenregister anlegen kann (und Gayromeo ein solches ist) und dass es Programme wie gaydar gibt, doch er übersieht, dass im Netz Menschen pseudonym (und bis zu einem gewissen Grad anonym) unterwegs sein wollen. Gayromeo ist da wieder ein gutes Beispiel: Wer hat da nicht multiple Identitäten und schwindelt nicht bei gewissen Angaben zu seiner Person? Solang der Staat informationelle Selbstbestimmung gewährleistet, ist es möglich, im Netz pseudonyme Identitäten aufzubauen und zu pflegen. Selbst wenn es möglich ist, aus Pseudonymen Rückschlüsse auf nicht-virtuelle Identitäten zu ziehen (und das ist oft möglich), bleibt so etwas wie Unsicherheit und Glaubhafte Bestreitbarkeit, die letztlich zur informationellen Selbstbestimmung beitragen.

Das ändert sich erst, wenn der Staat den Datenschutz abschafft, zum Beispiel indem durchgesetzt wird, dass man sich im Internet ausweisen muss (oder durch andere Maßnahmen, die eine nicht-virtuelle Identifizierbarkeit ermöglichen, wie die elektronische Gesundheitskarte, DRM und Ähnliches).

Letztlich bestätigt mspros Kommentar meine Annahme, dass es der Spackeria um eine Veränderung der Einstellung zur Privatheit in der Gesellschaft geht, wenn er schreibt:

Postprivacy stellt sich dem entgegen und sagt, […] dass wir dafür sorgen sollen, dass Schwulenregister existieren können, ohne dass sie Menschen gefährden.

Die Gesellschaft muss mit der Offenheit der Menschen angemessen umgehen lernen, aber jeder Mensch sollte die Möglichkeit besitzen, seine eigene(n) Identität(en) im Netz mehr oder weniger pseudonym zu entwickeln, ohne an eine „Identitätsverknüpfungsmaschinerie“ durch den Staat oder staatsähnliche Institutionen gebunden zu sein. Genau darin besteht informationelle Selbstbestimmung.

10 Gedanken zu „Prostprivacy“

  1. informationelle selbstbestimmung wäre dann gewährleistet wenn man sich tatsächlich anonym im internet bewegen könnte. das ist aktuell nur für eine wissenselite möglich – die mehrheit der nutzer bewegt sich relativ ungeschützt vor staatlichem tracking im netz. die lösung sollte meiner meinung nach nicht sein dass leute das internet nicht mehr nutzen um persönliches preiszugeben, und im notfall das dann wieder durch den staat rauszensieren lassen zu können, sondern von vornherein eine anonyme betätigung am digitalen leben zu ermöglichen. nachträgliche informationelle selbstbestimmung = digitaler radiergummi.

  2. @korbinian: klar, nachträglich geht das nicht. Wie gesagt: es geht um Pseudonymität; ich habe schon den Eindruck, dass mehr als eine Elite pseudonym im Netz unterwegs ist.

  3. Ich glaube nicht, dass das ein angemessener Ausweg ist, weil

    1.) Die Coming-Out-Bewegung vor allem davon profitiert hat, dass indentifizierbare, meist auch prominente Personen öffentlich zum Schwulsein standen. Dass der Fernsehmoderator und der Bäcker nebenan schwul sind, haben zum Verständnis beigetragen, nicht, dass irgendwer namens „Nachtschwalbe1986“ schwul ist. Wenn es allein bei Pseudonymisierung bleiben soll, ist das leider herzlich wenig für die toleranzsteigernde Wirkung.

    2.) Auch Pseudonymität hat aus den unterschiedlichsten Gründen kaum Zukunft. Was allein auf dem 27c3 für Identifizierungstechniken vom statistischen Fingerprinting trotz Tor und Verschlüsselung bis zur Sprachanalyse gezeigt wurde, lässt einen erschaudern. Es gibt viele technische Gründe anzunehmen, dass Pseudonymisierung keinen dauerhafter Schutz mehr bieten wird.

    Natürlich wäre Pseudonymität/Anonymität ein schöner Ausweg aus der ganzen Kontrollverlustwelt (zumindest für die technisch Versierten) aber ich habe den Eindruck, dass der versperrt ist.

  4. Hi Maha, Dein Artikel beschreibt im ersten Teil ziemlich gut, was auch mein Standpunkt ist. Prostprivacy 😉 will nicht Datenschutz verbieten.

    Aber die spannende Frage bleibt, wie gut er in Zukunft überhaupt möglich sein wird. Auch wenn es keine Ausweispflicht im Internet geben sollte, wird es wohl dennoch immer schwieriger sein, sich wirklich anonym zu bewegen. Schauen wir einfach, wieviel Potenzial z.B. noch in Biometrie oder im Linguistischen Fingerabdruck steckt. Diese Technologien können sich noch stark verbessern, so dass sich Identitäten irgendwann mit kaum noch „Unsicherheit und Glaubhafter Bestreitbarkeit“ verknüpfen lassen.

    Und da braucht es dann keinen Staat oder „staatsähnliche Institution“ (ist das ein Synonym für Facebook? 🙂 ) – eine solche Identitätsverknüpfungsmaschinerie wird jeder auf seinem Endgerät haben.

  5. Am Statement von mspro (Nr. 3, Punkt 1) kann man schön sehen, dass die Spackeria oder Postprivacy oder weiß der Himmel wie man diesen Schwachsinn schimpfen soll – eben doch eine Reduzierung des Datenschutzniveaus will, zumindest will sie nicht, dass der herkömmliche Datenschutz weiterhin effektiv in das digitale Leben eingreift, indem er Unternehmen (!) verbietet, bestimmte Daten zu sammeln oder zusammenzuführen. Denn das ist möglich, und deshalb irrt mspro. Der Staat kann sehr wohl bestimmte Arten von Datensammlungen verbieten oder einschränken (inklusive der Möglichkeit, einem Dienst aufzuerlegen, dem Benutzer die Wahl zu lassen, ob bestimmte Daten über ihn gespeichert werden oder nicht – ohne dass er deshalb auf den Dienst verzichten muss). Die Durchsetzung solcher Regeln steht auf einem anderen Blatt – aber in der internationalen Rechtsdurchsetzung gibt es unstreitig Fortschritte in der letzten Zeit.

    Es gibt sehr eindeutige Stellungnahmen der Spackeria gegen den Datenschutz, mindestens von @fasel und @laprintemps. Wenn sie dann im nächsten Atemzug auf das Recht zur informationellen Selbstbestimmung und die Aufklärung des Benutzers Bezug nehmen, so ist das reine Makulatur, um sich widersprüchlich-provokativ verhalten zu können.

    Zumindest die Spackeria versteht sich ganz offen als Zusammenschluss von Leuten, die mal ein bisschen provozieren wollen mit kernigen Aussagen. Da aber nichts anderes als Provokation dabei herauskommt kann man rundheraus sagen:

    Das sind Trolle. Nichts anderes.

  6. Ich finde, du hast im Klabautercast 60 zwei wichtige Dinge gesagt, maha. Nämlich, dass die informationelle Selbstbestimmung ein sich aus der Menschenwürde ableitendes Grundrecht ist und dass die Offenlegung von Informationen über die eigenen Person nur dann freiwillig und positiv eine Öffnung gegenüber der Gesellschaft sein kann, wenn diese Informationen zunächst einmal privat sind. Beide Gedanken werden aber nach dem, was so von einigen der Leute kommt, die als Spackeria-Vordenker gelten, als anachronistisches Konzept, das mit der neuen technologischen Realität nicht mehr vereinbar ist, angesehen.

    Die Realität eines Kontrollverlustes festzustellen ist das eine und angesichts der Möglichkeiten, die existieren und sich abzeichnen, sicherlich auch nicht abwegig. Mich stört aber der durchschimmernde normative Anspruch, deshalb die Privatsphäre völlig aufzugeben. Ich spreche hier sicherlich von einer persönlichen Einstellung jenseits philosophischer Diskussion über die Legitimität dieses Ideals. Mir kommt es oft so vor, als ob man die Vorgärten der Republik zum öffentlichen Raum erklärt, weil man keine Lust hat, sein Auto vom Rasen des Nachbarn runterzufahren, wenn der sich mal wieder aufregt. Wenn aber mspro sowas wie „lässt einen erschaudern“ oder „wäre [..] ein schöner Ausweg“ schreibt, tue ich damit vielleicht unrecht und es ist mehr ein resigniertes Aufgeben vor einer als unaufhaltsam eingeschätzen Entwicklung.

    Bei der Anonymität im Internet sollte man bitte nicht den Informationskonsum vergessen. Klar, sobald ich mich beteilige, wird es schwieriger Anonymität oder Pseudonymität zu gewährleisten. Zur Privatsphäre gehört aber auch, dass ich mich mal über etwas informieren kann, ohne dass das für jeden nachvollziehbar ist. Eine konsequente Post-Privacy-Forderung könnte durchaus die regelmäßige Veröffentlichung der eigenen browsing history sein. Man stelle sich die positive Wirkung vor. Alle könnten sehen, dass die Leute Pornos surfen, ist also ganz normal, und dass man das Urheberrecht dringend reformieren muss, weil jeder Filesharing betreibt. Für Internetkonsum kann eine gesellschaftliche Norm, die informationelle Selbstbestimmung für ein schützenswertes Gut hält, durchaus wirksam sein. Wie man gesehen hat, entfaltet sie politischen Druck gegen staatliche Überwachung. Sie setzt auf Dezentralisierung und technologische Gegenmaßnahmen. Und nicht zuletzt bedeutet sie eine Bereitschaft dem Individuum unbeobachtete Räume zu Verfügung zu stellen, wie die Betreiber von Anonymsierungsdiensten oder Webseiten, die bewusst keine Informationen über ihre Besucher speichern, zeigen. Im Prinzip gilt das auch für die aktive Teilnahme am Internetgeschehen.

    Der heute beobachtete sogenannte Kontrollverlust ist letztlich zum Teil auch eine Folge der Wahrnehmung von informationeller Selbstbestimmung. Weil ich mir einen Facebook-Account geklickt habe, auf dem ich Informationen über mich freigebe, kann man jetzt auch Verknüpfungen herstellen, die sich aus den Informationen selbst nicht ergeben. Hier gilt es ganz klassisch Aufklärung zu betreiben, damit jeder die mögliche Reichweite seiner Handlungen versteht und informiert und selbstbestimmt entscheiden kann. Und ja ebenfalls völlig richtig ist, dass ein guter Teil des Kontrollverlustes auf die Verwebung von Informationen, die uns selbst betreffen, mit denen, die andere betreffen, zurückgeht. Hier ist aber höchstens das Ausmaß das Neue.

    Aber warum sollte man deshalb anfangen über ein neues Ideal der Auflösung der Privatsphäre zu sprechen, anstatt einfach die Verschiebung dessen, was als privat gilt, sozial neu auszuhandeln, wie es in der Vergangenheit immer wieder geschehen ist? Warum sollte man die Achtsamkeit gegenüber einem anderen Menschen, der eben nicht mit auf das Foto will oder einen Kommentar schreiben möchte, ohne seinen Namen zu nennen, aufgeben? Dass dieser das nun vorallem durch staatliche Regulation kontrolliert werden soll, da sind sich ja praktisch alle bis hin zur unfreiwilligen Taufmutter der Spackeria einig, dass man stattdessen vorallem auf soziale Konventionen setzen sollte.

    Selbst jemand, der bewusst ein öffentliches Leben führen will, hat glaube ich nicht die realistische Erwartung jeden Moment des Privaten aus seinem Leben zu verbannen. Die Privatsphäre (die sich ja auf den Freudes- und Familienkreis erstrecken kann) als Default, aus dem man heraustritt, wird in einer freien Gesellschaft, die autonomen Zugriff auf Technologie erlaubt, für viele Menschen Realität bleiben, selbst dann wenn Eckdaten ihres Lebens veröffentlicht sind. Insofern scheint mir der Griff zum Post Privacy-Ideal ein unnötiger Balanceakt auf einem schmalen Grad, bei dem man leicht von den falschen Leuten instrumentalisiert werden könnte. Wenn ich meine Netzverbindung irgendwann nicht mehr abschalten will, ist das eine Sache, wenn ich sie nicht mehr abschalten kann, ist das etwas völlig anderes.

    Übrigens kann mal jemand einen Wikipediaartikel zu Post Privacy schreiben oder würde der sofort gelöscht? Ich weiß nämlich gar nicht, wovon ich hier schreibe…

  7. gesetze müssen angemerssen sein und auch durchsetzbar sein. unsere aktuellen datenschutzgesetze sind das definitiv nicht, daher werden sie in deutschland ja auch kaum angewendet, weil jeder weiß dass dann einfach mal ein großer teil des deutschen internets weg vom fenster wäre. dass ein neues datenschutzgesetz auch bedeutet dass teilweise das niveau abgesenkt werden muss is für mich klar, aber dafür sollte man an anderer stelle zb recht auf „anonyme“ nutzung des internets fordern und dass generell ip-adressen nicht mehr rechtlich als haftbare menschen gelten. wenn das nämlich weg ist kann man zwar wie jetzt mit unseren tollen datenschutzgesetzen auch getrackt werden, aber rechtlich hat der staat dann wenig in der hand gegen einen. so stelle ich mir das eigentlich vor. in den u.s.a. hat das kürzlich ein gericht überraschend auch so gesehen: http://torrentfreak.com/ip-address-not-a-person-bittorrent-case-judge-says-110503/

  8. Was mich bei dieser ganzen Datenschutz/Postprivacy Debatte stört ist dass manche Leute glauben, das Problem wäre damit gelöst dass man private Daten per Gesetz schützen lässt. Aber diese Denke gibt es wohl nicht erst seit gestern, siehe http://www.titanic-magazin.de/uploads/pics/card_2141258834.jpg

    Selbst wenn man es durchsetzen könnte, wie soll das in der Praxis aussehen? Alle Rechner von einer Kontrollinstanz auf illegale private Daten untersuchen lassen? Willkommen im Überwachnungsstaat.

    Firmen, denen diese Restriktionen nicht gefallen, werden im Zweifel einfach ins Ausland abwandern. Ich gehe auch davon aus dass diverse Geheimdienste bereits Datenbanken haben in der Informationen zu jedem einzelnen Menschen auf der Erde automatisch zusammengecrawled werden.

    Solche Datenschutzgesetze werden im Gegenteil auch nicht die Privatsspäre der Bürger schützen sondern von allen möglichen Organisationen dazu genutzt werden um ihre Interessen zu schützen. So wie z.B. die USA sich geweigert haben Informationen zu den Haftbedingungen von Private Manning zu veröffentlichen mit Hinweis auf sein „Persönlichkeitsrecht“.

    Beim Urheberrecht ist dies auch geschehen, Scientology verwendet es schon lange um gegen Kritiker vorzugehen und die Content Mafia prozessiert gegen Privatleute die ein paar Songs im Internet getauscht haben. Den Urhebern selber bringt es aber kaum was.

    Wenn wir Gesetze erlassen die die Verarbeitung oder Verbreitung von Informationen einschränken, werden wir uns letzlich selbst damit ins Bein schiessen. Denn bei der Durchsetzung kommt man um den Überwachungsstaat nicht herum – der grosse Bruder, der kontrolliert welche Information legal und welche illegal ist. Sollte es jemals dazu kommen und sollte man sich auch durch die (Server-)Flucht ins Ausland nicht vor dieser Kontrolle entziehen können, dann wären Seiten wie Wikileaks dicht. Und zwar als allererstes.

    Wirklichen Schutz der Privatsspäre wird man nur selbst erreichen können indem man sich dessen bewusst ist, was man wo und unter welchem Pseudonym veröffentlicht. Indem man z.B. auch mal sein Handy abstellt wenn man nicht getracked werden will.

  9. Was mich an der Spackeria extrem stört: ihre Thesen und provokativen Anfälle dienen den Sicherheitsideologen als Begründung, dass die Überwachung und Entblößung der Menschen im Netz scheinbar freudig aufgenommen wird. Die Utopie der Post-Privacy wird von den Protagonisten außerdem vollkommen unterbelichtet erklärt. Aber damit entlarven sich diese Google-Fanboys in gewisser Weise auch selbst …

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