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#Neustart

Gerade wird in der Piratenpartei intensiv über ein Wahlkampfkonzept für die Bundestagswahl gestritten. Ich habe gleich gedacht: „Bloß nicht wieder Kühe und Euromünzen wie bei der letzten Bundestagswahl!“ Und tatsächlich gibt es unter dem Titel „Neustart“ zwei Vorschläge, die tatsächlich das Konzept „Themen und Köpfe“ sehr schön umsetzen:

  • Die Entwürfe von Peter Amende entwickeln die Bildsprache des Berliner Wahlkampfs weiter: Ich finde es sehr gut, denn die Plakate zeigen, worum es inhaltlich geht, und eben auch Köpfe normaler Menschen, nämlich der Piraten, die diese Inhalte vertreten. Das ist genau das, was ich mir von einer guten Kampagne wünsche.
  • Die Entwürfe von Fred sind künstlerisch innovativer gegenüber dem Berliner Wahlkampf, aber vielleicht im Vergleich zu Peters eine Spur zu intellektuell oder jedenfalls nerdig. Aber Ideen aus seinen Entwürfen sollten schon übernommen werden.

Plakat: Alle reden vom Internet -- Wir nichtBesonders gut gefällt mir das Plakat Alle reden vom Internet – Wir nicht, denn es verschafft einen Einblick in einen Piratenparteitag und zeigt sehr schön, wie die Piraten sind: chaotisch, bunt, aber kompetenter als andere. Zudem erkennt man auf dem Plakat bekannte Piraten wieder. Ein sehr schönes Bild!

Der Slogan #Neustart passt auch sehr schön: denn einerseits könnte er sich darauf beziehen, dass die Piratenpartei, die in den letzten Monaten eher schlechte Presse hatte, nun einen Neustart unternimmt, andererseits geht es um einen Neustart der Demokratie in Deutschland: Das System ist ja sehr gut, aber ein Neustart tut dringend Not, um schlimme Verirrungen (Hartz IV, Überwachungsstaat usw.) loszuwerden. Auch diese IT-Metapher ist treffend. Sie erinnert auch ein bisschen an Obamas Change, mit dem Unterschied, dass die Piraten und ihre Wähler das mit dem #Neustart wirklich wollen, auch wenn sie sich über Details (Vim oder Emacs) gern mal streiten.

Insgesamt bin ich bei diesen Vorlagen, über die abgestimmt werden kann, sehr zuversichtlich, dass der Wahlkampf rocken wird.

Berlinale 2013

Es ist mal wieder Berlinale in Berlin, inzwischen schon zum 63. Mal. Das bedeutet ja leider immer sehr viel Durcheinander. Ich habe mich jedoch ins Getümmel geworfen und war heute in einem wirklich empfehlenswerten georgischen Film mit dem schönen Titel: Chemi sabnis naketsi oder A Fold in my Blanket. Der Film läuft auch im Wettbewerb um den Teddy Award, wird da aber weniger Chancen haben, denn um ihn als schwulen Film zu erkennen, muss man schon Georgier sein: Es geht (unter anderem) um eine ziemlich platonische Männerfreundschaft. Überhaupt ist der Film so geschrieben, dass er die Zustände in Georgien so subtil kritisiert, dass er noch Geld von der georgischen Filmförderung erhalten kann. Dennoch muss ich ihn empfehlen. Ich fand die subtile Symbolik schon sehr faszinierend. Es ist ein durch und durch intellektueller Film. Fast jede Einstellung ist genau durchdacht. Als Sprachwissenschaftler freut mich besonders, dass die russisch-georgische Zweisprachigkeit im Film eine Rolle spielt: Die Dialoge sind überwiegend georgisch, zum Teil aber auch russisch. Sehr schön ist auch der Einblick in den georgischen Alltag. Ich hoffe sehr für den Regisseur Zaza Rusadze (der nicht nur Georgier, sondern auch Berliner ist), dass der Film in den Verleih kommt.

Schließlich bin ich vor dem Trubel geflüchtet und habe im Chaos Computer Club Berlin abends noch: http://en.wikipedia.org/wiki/TPB_AFK, den neuen Dokumentarfilm über The Pirate Bay gesehen, denn ich empfehle: Es treten dort viele bekannte Personen auf, es geht um die Hintergründe des Piratbyrån und somit auch der Piratpartiet. Außerdem kann man ständig fazialpalmieren, wenn man die Argumentation der Content-Vertreter hört.

Und wo wir schon bei Filmen sind, spreche ich gleich noch eine Filmwarnung aus: Neulich lief ja Zero Dark Thirty in Deutschland an, der Film über die Jagd auf Osama bin Laden: Kann man sehen, muss man aber nicht. Der Film hat Längen, zeigt grausame Folterszene, die aber irgendwie als gerechtfertigt und sinnvoll hingestellt werden und ist wenig spannend. Irgendwie fragte ich mich ständig, ob sich das wirklich alles so zugetragen hat, wie dort beschrieben.

Verkehrspolitik

Ich dilettiere seit ja seit einiger Zeit im Politikbereich „Verkehr“. Inzwischen habe ich neben einem Rahmenantrag (Wahlprogrammbereich: Verkehrspolitik) drei Anträge ins Liquid Feedback eingebracht, die zur Zeit in der Abstimmungsphase sind:

  1. Wahlprogrammbereich: Verkehrspolitik: Umlagefinanzierter Personenverkehr
  2. Wahlprogrammbereich: Verkehrspolitik: Shared Space, Vorrang für Schwächere
  3. Wahlprogrammbereich: Verkehrspolitik: Intelligente Verkehrsbeeinflussung durch Wechselverkehrszeichen und Telemetrie flächendeckend einführen

Das Liquid Feedback begünstigt ja Dilettanten wie mich, denn diejenigen, die sich auskennen, geben Anregung und so können Anregungen verbessert werden. Das ist auch hier geschehen: Beim ersten Antrag konnte ich auf längere Diskussionen älterer Anträge zurückgreifen, auch für den zweiten Antrag gab es Vorbilder aus Berlin (unter anderem von Christopher Lauer) und für den dritten Antrag gab es einen Vorläufer von mir selbst, durch den ich zahlreiche interessante Hinweise erhielt, z.B. dass die Finanzierung der vorgeschlagenen Maßnahmen bereits bis 2015 gesichert ist.

Die Anträge stehen meiner Ansicht nach sehr im Einklang mit dem, was Piraten wollen, nämlich:

  • größtmögliche individuelle Freiheit unter Teilhabe aller oder anders formuliert: freie Entfaltung und Chancengleichheit,
  • Infrastrukturneutralität,
  • einen dritten Weg zu gehen zwischen den verhärteten Positionen der Analogparteien.

Besonders der umlagefinanzierte Personenverkehr spiegelt die drei Prinzipien wieder, denn öffentlicher Personenverkehr ist ja Infrastruktur, an der alle teilhaben können und die Freizügigkeit ermöglicht. Außerdem kann man so Menschen dazu bringen, vom Auto auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen, ohne den Autoverkehr durch Regulierung einzuschränken. Dieser dritte Weg zeigt sich auch beim Shared Space-Konzept: Autoverkehr soll hier nicht eingeschränkt werden, dennoch macht Shared Space in Verbindung mit dem Prinzip Vorrang für Schwächere den Straßenverkehr für alle Teilnehmer angenehmer. Das gilt natürlich auch für die intelligente Verkehrsbeeinflussung, die letztlich auch das Problem der starren Geschwindigkeitsbegrenzung zugunsten einer flexiblen löst.

Ich hoffe, dass diese Ansätze Zustimmung finden, da ich sie auch deshalb für wichtig halte, weil sie charakteristisch für die Piratenpolitik sein können.

Lila Piraten – Bericht aus Wien

In der vergangenen Woche war ich in Wien und hatte Gelegenheit, die österreichischen Piraten (kurz) kennen zu lernen. Was natürlich zuerst auffällt, ist, dass sie (getreu dem schwedischen Vorbild) Lila zu ihrer Parteifarbe gewählt haben. Das dunkle Lila wirkt auf mich etwas konservativ im Vergleich zum deutschen Orange. Und tatsächlich scheinen mir die österreichischen Piraten im Vergleich zu den Deutschen konservativer zu sein, und zwar nicht in inhaltlichen Fragen (ich hatte leider nicht die Zeit dazu, mich mit Inhalten zu beschäftigen), sondern was die Art angeht, wie Politik (insbesondere die Programmentwicklung) bei ihnen gemacht wird. Man setzt dort sehr auf Verfahren, die ich als Politik 1.0 bezeichnen würde, nämlich auf die Erarbeitung von Positionen in so genannten Task Forces, nämlich Arbeitsgruppen, deren Einrichtung von der Zustimmung des Vorstands abhängt. Ich halte das für problematisch, da die Abhängigkeit von einer Vorstandsentscheidung nicht gerade ein Bottom-Up-Modell ist und so mit den Arbeitsgruppen thematische „Hoheitsgebiete“ entstehen, die der Idee der freien thematischen Vernetzung nach dem Vorbild des Internets entgegenstehen. Zumal auch Entscheidungen im österreichischen Liquid Feedback offenbar von den Task Forces kontrolliert werden sollen (so äußerte sich jemand in der Vorstellung der österreichischen LQFB-Instanz). Außerdem konnte in Deutschland die Erfahrung gemacht werden, dass nur die wenigsten Arbeitsgruppen wirklich funktionieren.

Ein Politik-2.0-Ansatz würde es vielmehr ermöglichen, dass man sich zur politischen Arbeit (insbesondere zur Programmarbeit) frei vernetzen kann: Einzelpersonen, lokale Gruppen, Freundeskreise, Task Forces usw.: alle können Texte entwickeln. Es muss dann nur einen definierten Prozess geben, wie daraus Parteitagsbeschlüsse werden. Das kann zum Beispiel dadurch geschehen, dass solche Texte in eine Art „Backbone“ geworfen werden, so dass sie von der Gesamtpartei (oder der zuständigen Untergliederung) diskutiert und beschlossen werden können. Ein solches „Rückgrat“ könnte Liquid Feedback sein.

Die österreichischen Piraten haben eine LQFB-Instanz, doch verspürte ich eine gewisse Angst vor dem konsequenten Einsatz dieses Werkzeugs. Vielleicht liegt diese Angst darin begründet, dass LQFB fälschlicherweise für ein basisdemokratisches Werkzeug gehalten wird. Das ist es aber nicht: Liquid Democracy ist bekanntlich ein Kompromiss zwischen direkter und repräsentativer Demokratie. In LQFB kann man sehen, wie schnell Delegationseliten entstehen. Das ist aber nicht schlimm, sondern eher ein Vorteil von LQFB, weil (1) dank der Delegationen die Arbeit noch funktioniert, wenn die Zahl der Anträge stark zunimmt (ohne Delegation wäre die Programmentwicklung ein Vollzeitjob) und weil (2) die Delegationsketten sichtbar sind: Damit kann bei einer Entfremdung von Basis und Elite sofort eine Kampagne gestartet werden, um ein Delegationskartell aufzubrechen, das systematisch im Widerspruch zur Basis agiert. Ein weiterer Vorteil (3): Der repräsentative Anteil der Liquid Democracy ist auch ein probates Mittel gegen Populismus.

Ich hoffe, dass die österreichischen Piraten die Stärken von LQFB begreifen und das System dann auch richtig nutzen. Aus Deutschland ist ja bekannt, was für dicke Bretter da zu bohren sind.

Bulb Fiction

Ich habe gerade den Film Bulb Fiction gesehen, den ich allen empfehle, die sich für Polit-PR und Neusprech interessieren. Es geht um die Kompaktleuchtstofflampe, besser bekannt als Energiesparlampe und die mit ihr verbundene Propaganda. Besonders gegen Ende gibt es eine schöne Stelle, wo die Sprecherin des EU-Energiekommissars eindrucksvoll vorführt, wie politische Kommunikation funktioniert, indem man nicht nur die eigentlichen „offiziellen“ Antworten sieht, sondern auch, was davor oder danach passiert.

Hier eine kurze Zusammenfassung der Doku, die sicher nicht zu viel verrät: Das Problem bei Energiesparlampen ist das darin enthaltene Quecksilber, das entweicht, wenn der Glaskörper zerbricht. Das ist besonders dann gefährlich, wenn der Glaskörper zerbricht, während die Lampe leuchtet, da dann alles Quecksilber gasförmig ist. Die Mengen sind nicht unerheblich und durchaus (besonders für Kinder) gefährlich. Zudem ist das Recycling der Lampen problematisch und es gibt kein Endlager für Quecksilber. Es geht in der Doku jedoch vor allem darum, wie die PR für diese Lampen gelaufen ist und immer noch aussieht. Dabei wird genau beleuchtet, wie es zu ihrer Durchsetzung kam.

Der Film verfehlt seine Wirkung nicht. Mancher Zuschauer ist wohl (wie ich) im Anschluss richtig wütend und möchte seine Energiesparlampen gleich gegen LED-Lampen austauschen, die leider im Film unerwähnt bleiben. Das ist eine Schwäche des Films, denn zu Heatball-Lampen zurückzukehren, ist sicher auch kein guter Weg.

Urheberrecht vs. freies Internet

Hier nun der versprochene Bericht über das Urheberrechtspodium im Münchner Justizministerium.

Die Veranstaltung begann mit einem Impulsreferat der Justizministerin Beate Merk. Nach dem einleitenden Statement zum „Rohstoff Geist“ (eine seltsame Metapher, vergleiche Flyer Urheberrecht vs. freies Internet) musste ich aufhorchen: Die Ministerin sprach sich nicht nur für eine Reform des Urheberrechts aus (offenbar sogar für die Erwägung einer Kulturflatrate), sondern auch gegen Massenabmahnungen. Zwar liegt das alles in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes, aber solche Töne von einer konservativen Ministerin lassen doch hoffen, dass Einsicht einkehren könnte. Dann begann die Podiumsdiskussion: Oliver Berben sagte, es ginge nicht um Urheberrecht vs. freies Internet, sondern um Urheberrecht vs. kostenfreies Internet (Kostenloskultur … wissen schon!). Viel mehr Substantielles kam von ihm nicht mehr. Er geriet etwas in Streit mit mir, was nur daran lag, dass er das Konzept der Kulturwertmark nicht verstanden hat. Sehr wohl verstanden haben es aber die anderen Podiumsmitglieder und auch ein Zuhörer, der mich nachher ansprach, nämlich Prof. Jürgen Becker von der ZPÜ: Er hielt das Konzept für erwägenswert.

Aber der Reihe nach: Oliver Süme vom Eco – Verband der deutschen Internetwirtschaft sprach sich auch ganz klar für ein freies Internet aus (s.u.); Dr. Matthias Lausen, Geschäftsführer des Instituts für Urheber- und Medienrecht wollte diese Freiheit nur für persönliche Daten gelten lassen, nicht für Waren: Der Warenverkauf dürfe nicht anonym sein. Wie man im Netz ohne Deep Packet Inspection „Daten-Waren“ von privaten Daten unterscheiden könne, ließ er dabei offen. Später in der Diskussion forderte er beim Vorgehen gegen Urheberrechtsverletzungen die Mitarbeit der Provider und auch deren Haftung. Klar, dass Oliver Süme das natürlich sofort ablehnte.

Privatkopie, Fair Use

Der offensichtlich gut informierte Moderator verwies auf meinen Blogeintrag zu dieser Veranstaltung, in dem ich schrieb, dass ich mit lauter Lobbyisten auf dem Podium sitzen werde. Natürlich hat er Recht, dass auch ich Lobbying betreibe, wenn ich mich für Konzepte des CCC einsetze. Ich wies also auf die Notwendigkeit der Privatkopie hin, die eben im Zeitalter des ubiquitären Computerns überall möglich ist – über das Internet und von Gerät zu Gerät – und forderte eine Öffnungsklausel im Urheberrecht, die – im Sinne von Fair Use – die Umsetzung neuer Ideen ermöglicht. Der Vertreter der GEMA Alexander Wolf erläuterte sodann, warum die GEMA bei neuen Geschäftsideen keine Möglichkeiten habe zu helfen, und forderte an der Stelle auch Neuregelungen. Alle seine Redebeiträge warben um Verständnis für die Lage der GEMA. Der Letzte in der Runde war Thorsten Schliesche von napster. Sein Kernanliegen war es aufzuzeigen, dass es die legalen Angebote schwieriger hätten als die illegalen, verbunden mit der Forderung, dass die Politik es den legalen Anbieter leichter machen solle.

Kulturwertmark

Der Moderator leitete dann über zur Kulturflatrate. Schnell wurde klar, dass mit dem Erforschen des Nutzerverhaltens Datenschutzprobleme oder gar eine Überwachungsstruktur drohen könnte. Ich erläuterte daraufhin das Kulturwertmark-Modell. Obwohl ich ausdrücklich gesagt hatte, dass es dabei um die Legalität der Privatkopie im Netz geht, wurde teilweise missverstanden, dass die Kulturwertmark so etwas wie eine generelle Alternative zum Verkauf von Filmen, Musik und elektronischen Büchern über das Internet sein sollte. Ich musste also noch einmal betonen, dass das nicht gemeint ist. Wolf (GEMA) ließ sich zu der Äußerung hinreißen, dass die Internetprovider mehr Geld durch illegale Downloads verdienen als durch legale, was natürlich eine Nebelkerze ist, denn die Provider haben ja keinen Einfluss auf die Inhalte und sollten den auch nicht haben. Der Urheberrechtler Lausen brachte den wiederholt gehörten Vergleich mit einer Bäckerei, die gegen eine andere konkurrieren müsse, die Brötchen verschenke. Süme konterte, dass legale Angebote attraktiver sein können und müssen als illegale.

Massenabmahnungen

Das nächste Thema waren die leidigen Abmahnungen. Ich wies noch einmal darauf hin, dass die Ministerin ja eine klare Position gegen massenhaftes Abmahnen vertreten hatte. Der GEMA-Vertreter sprang auf den Zug auf und sagte, es sei besser gegen illegale Plattformen vorzugehen, als Endnutzer abzumahnen. Von rechts von mir (Berben oder Lauser, vermutlich Letzterer) wurde mir dann durch Zwischenruf vorgeworfen, wer keine Abmahnungen wolle, sei auch gegen die Steuerfahndung, was ich als polemisch qualifizierte und mit dem Hinweis abtat, dass das Geld für Abmahnungen ja nicht in erster Linie den Urhebern, sondern Anwälten zu Gute kommt. Es bestand auf dem Podium allerdings ein weitgehender Konsens in der Ablehnung von Massenabmahnungen (wie gefühlt auch im Saal).

In meinem „Schlussplädoyer“ warb ich noch mal für die Privatkopie und für Fair Use, das heißt: auf jeden Fall für mehr Urheberrechtsschranken als weniger. Ich wies dabei darauf hin, dass der Wegfall der öffentlichen Zugänglichmachung für Unterricht und Forschung (§52a UrhG) zum Jahresende zu großen Problemen an Schulen und Universitäten führen wird. Auch die anderen warben noch einmal für ihre Position, bevor man zum Büffet überging. Ich glaube (und das zeigten die Nachgespräche), dass ich meine Punkte rüberbringen konnte, jedenfalls kamen sie in der Struktur des Programms alle vor, und es gab entsprechende Rückmeldungen. Mir selbst hat die Veranstaltung allerdings wenig Neues gebracht.

Datenschutztag

In den Kommentaren zu meinem letzten Blogbeitrag hatte mich Conrad Tribble, der US-amerikanische Generalkonsul, zum
Deutsch-Amerikanischen Datenschutztag eingeladen, der gleichzeitig in der Nähe des Justizpalastes stattfand. Dorthin bin ich dann auch noch gegangen. Ich hatte ein anregendes Gespräch mit dem Generalkonsul und ein paar anderen Personen, so dass sich der Abstecher sehr gelohnt hat.

Urheberrecht

Am Donnerstag, 10. Mai 2012 um 10 Uhr werde ich im Münchner Justizpalast auf einem Podium sitzen, auf dem es ums Urheberrecht geht. Dort sitzen außer mir vor allem Lobbyisten. Ich habe mal die Einladung zu dieser Veranstaltung hier beigefügt und werde danach auch darüber berichten. Streaming bzw. Aufzeichnung sind leider nicht vorgesehen, aber vielleicht gibt es da noch eine spontane Lösung. Anmelden kann man sich hier: Forum „Urheberrecht vs. freies Internet – ein unauflösbarer Widerspruch?“ (presse [AT] stmjv.bayern.de). Natürlich kann man sich auch per Fax anmelden. 🙂

Flyer Urheberrecht vs. freies Internet (pdf)

Versammlungsleitung

Nachdem ich politische Versammlungen beobachtet und selbst auch mehrfach geleitet habe, möchte ich gern ein paar Tipps zusammenstellen, wie man erfolgreich eine Versammlung leitet. Das ist sicher nützlich, da immer mehr Leute in die Situation kommen werden, solche Versammlungen zu leiten. Falls Ihr Erfahrungen habt, fügt sie doch bitte hinzu.

Das Wichtigste bei der Leitung einer großen Versammlung ist ein gewisses Gefühl für die Stimmung. Das wird auch gern als Empathie bezeichnet und ist die wichtigste Eigenschaft für den Versammlungsleiter. Nach kurzer Eingewöhnungszeit gewinnt man sehr schnell ein Gefühl dafür, wie die Versammlung „tickt“. Die Stimmung, die einem entgegenschlägt, sollte man nicht ignorieren.

Hier jetzt ein paar konkrete Punkte

Sitzen machen!

Das Präsidium (also die Versammlungsleiter, ihre Helfer usw.) müssen vorn (am besten erhöht) an einem Tisch sitzen. Das ist sehr wichtig! Leider wurde es auf Bundesparteitagen der Piraten nach dem Parteitag 2009 in Hamburg komplett vernachlässigt, was zu ziemlicher Unruhe und Stress sowohl im Saal wie bei der Versammlungsleitung führte. Daher meine dringende Bitte für das nächste Mal: einfach mal hinsetzen! Der Grund: Unruhe auf der Bühne, insbesondere das Herumgehampel gewisser Leute, überträgt sich natürlich auf die Versammlung. Der Grund sind die berühmten Spiegelneuronen: Die Zuschauer beobachten die Versammlungsleitung, so dass schließlich alle unruhig werden.

Du bist nicht allein!

Ein Versammlungsleiter sollte nie allein agieren: am besten sitzt er am Tisch mit zwei Helfern, von denen einer immer in der Lage ist einzuspringen, und der andere zum Beispiel als Vertreter der Antragskommission die eingehenden Anträge dem amtierenden Versammlungsleiter vorlegt. Wenn es auch noch einen Wahlleiter gibt, sollte er auch immer vorn sitzen, damit er bei Abstimmungen gleich greifbar ist und nicht erst herbeigeholt wird. Außerdem gilt auch für den Wahlleiter der Spiegelneuroneneffekt. Jemand, der nicht ruhig auf seinem Platz bleiben kann, ist eben nicht geeignet.

Sei bereit!

Ein Versammlungsleiter sollte die Geschäfts- und Wahlordnung gut kennen. Am besten hat er immer ein Exemplar vor sich und sollte es natürlich auch vorher gelesen haben. Er sollte zudem wissen, was es mit GO-Anträgen auf sich hat und wie sie funktionieren. Leider ließen sich da in der Vergangenheit immer wieder Unsicherheiten beobachten.

Mach mal Pause!

Eine Versammlung sollte genug Pausen haben. Wenn’s mal ein Durcheinander gibt, ruhig mal eine Pause machen! Idealerweise sollte der Versammlungsleiter ein Gefühl dafür haben, wann eine Pause erforderlich ist. Auf keinen Fall sollte der Versammlungsleiter, ohne die Sitzung unterbrochen zu haben, kleinere Kunstpausen einlegen, um sich zu beraten, um sich vom Publikum abzuwenden oder sonst irgendwie die Versammlung ins Stocken bringen. Nötigenfalls muss er sich halt ablösen lassen.

Selber machen!

Der Versammlungsleiter ist Herr der Versammlung und auch der Geschäftsordnung. Der Satz: „Ich brauche jetzt einen Geschäftsordnungsantrag!“ ist unsinnig, denn der Versammlungsleiter kann selbst die Rednerliste schließen oder eine begrenzte Redezeit festlegen; wenn er das für richtig hält. Wenn die Versammlung anderer Meinung ist, wird sich jemand melden. Dabei sollte er sich von seiner Empathie leiten lassen.

Wer leiten will, muss freundlich sein!

Der Versammlungsleiter sollte sich strikt an die GO halten und unzulässige Abweichungen abweisen. Natürlich immer freundlich, aber bestimmt. Als ultima ratio kann er natürlich mal laut werden, aber sparsam! Es fällt manchmal schwer, gegenüber Versammlungs- und GO-Trollen die Contenance zu wahren, aber das ist sehr wichtig. Es ist besser, noch mal freundlich zu fragen, ob alle abgestimmt haben, und nicht laut herunterzählen! Eine Versammlung ist keine Versteigerung. Wenn jemand zu lange redet, sollte der Versammlungsleiter nicht davor zurückschrecken, ihm das Wort zu entziehen – ungeachtet der Person und wie immer freundlich, aber bestimmt.

Augen auf!

Um ein Gefühl für die Versammlung zu bekommen, sollte man sie nie aus den Augen lassen. Wegdrehen, aufstehen und weggehen (außerhalb der Pausen) geht gar nicht! Leider wird das zu wenig beachtet. Auch dafür ist es hilfreich, vor der Versammlung zu sitzen. Auf das, was in der Versammlung passiert, sollte man reagieren.

Don’t panic!

Wenn es mal brenzlig wird, Ruhe bewahren! Zur Not kann man eine Pause machen.

Heilig, heilig, heilig!

Heilig sind:

  1. Geschäfts- und Wahlordnung: die sind unbedingt ernst zu nehmen; nötigenfalls muss man sie ändern;
  2. Tagesordnung: nicht abweichen! Nötigenfalls muss sie geändert werden. Natürlich kann, wenn ein Tagesordnungspunkt begonnen wurde, dieser nicht mehr umgestellt werden. Auch ein Tagesordnungspunkt, der abgeschlossen wurde, ist abgeschlossen. Wenn die Versammlung es will, kann die Tagesordnung natürlich geändert werden (außer bei bereits begonnenen Punkten) und auch abgeschlossene Punkte erneut aufgerufen werden. So etwas sollte aber die Ausnahme sein.
  3. Rede und Wahlhandlungen: Wenn jemand redet, sind GO-Anträge unzulässig, auch dürfen Diskussionen und Wahlhandlungen nicht vermengt werden. Auch während einer Wahlhandlung sind keine GO-Anträge möglich.

Bedenke das Ende!

Jede Versammlung sollte einen geplanten Endzeitpunkt haben, der nach Möglichkeit eingehalten werden soll. Diesen sollte der Versammlungsleiter im Blick haben. Ausufernde Diskussion sollten bei Zeitmangel vermieden werden, vor allem wenn der Endzeitpunkt überschritten ist, sonst werden am Ende nur noch zufällige Minderheiten entscheiden: diejenigen, die noch da sind, diejenigen, die auch noch zu später Stunde wach und konzentriert sind, diejenigen, die es darauf anlegen, zum Schluss noch Positionen durchzupeitschen, die sonst chancenlos wären. Es ist ganz wichtig, rechtzeitig zu schließen. Open-End-Veranstaltungen sind auf jeden Fall zu vermeiden.

Bürgerliquid

Auf und nach der gestrigen Landesmitgliederversammlung der Piratenpartei Berlin wurde viel über LiquidFeedback (LQFB) gesprochen. Die Fraktion benötigt ein Tool, das verlässliche, überprüfbare Ergebnisse hervorbringt. Das geht natürlich nur, wenn alle Teilnehmer überprüfbar akkreditiert und identifizierbar sind. Zudem wurde auf der Landesmitgliederversammlung immer wieder betont, dass die Fraktion nicht nur die Piraten vertritt, sondern alle Berliner.

Da drängt sich doch der Gedanke auf: Warum macht die Fraktion kein Bürgerliquid, also eine LiquidFeedback-Instanz, an der jeder Berliner teilnehmen kann? Ich glaube, dass das möglich und wünschenswert ist.

Akkreditierung

Als großes Problem wird immer die Akkreditierung angesehen. Wie kann sicher gestellt werden, dass jemand echt ist und auch immer noch in Berlin wohnt? Es wird behauptet, man müsse auf das Melderegister zurückgreifen. Das ist meines Erachtens nicht nötig. Wer mitmachen will, der akkreditiert sich auf einer Akkreditierungsversammlung oder zum Beispiel in der Geschäftsstelle der Fraktion, wenn das Liquid von der Fraktion betrieben wird (was sich anbietet). Da die Liquid-Teilnehmer so etwas sind wie Parlamentarier, gilt die Akkreditierung bis zum Ende der Legislatur, denn auch den nicht-virtuellen Parlamentariern wird das Mandat nicht entzogen, wenn sie umziehen. (Für das seltenere Ausscheiden durch Tod kann man eine Art „Totmannknopf“ einführen, also die Notwendigkeit, sich mindestens einmal pro Jahr einzuloggen.) Welche Daten bei der Akkreditierung erhoben werden, kann die Fraktion als Betreiber entscheiden – nach Möglichkeit nach den Vorgaben des Abgeordnetengesetzes, da die Teilnehmer ja so etwas sind wie erweiterte Abgeordnete. Dabei müssen natürlich nicht alle Daten sichtbar im System gespeichert werden. Zu Beginn einer neuen Legislatur kann dann die Akkreditierung verlängert werden, wenn die neue (im Erfolgsfall größere) Fraktion auch wieder ein Liquid betreiben will – oder vielleicht will ja dann eine andere Fraktion oder gar die Regierung so etwas machen.

Mögliches praktisches Vorgehen

Die Fraktion könnte eine Liquid-Instanz aufsetzen und erst mal im Testbetrieb fahren. So nach sechs Monaten könnten (wenn alles gut läuft) Parlamentarier eine Erklärung abgeben, dass sie die Ergebnisse der Instanz als verbindliche Empfehlungen ansehen, d.h. dass sie es ausführlich begründen wollen, wenn sie von den Empfehlungen abweichen. „Parlamentarische Zwänge“ wären da eine zu schwache Begründung. Da in sechs Monaten gerade das Sommerloch ist, könnte dieser Schritt für erhebliches Aufsehen sorgen. Ich würde mich freuen, wenn dann z.B. Frank Rieger in der FAZ mit schönen Schaubildern das Funktionieren von LQFB kritisch beleuchten würde. Der Spiegel macht dann vielleicht ein Portrait über die Kommunikationspiraten Monika Belz. Insgesamt dürfte zu dem Zeitpunkt genug Interesse in der Öffentlichkeit geweckt sein. Übrigens könnten nicht nur Piraten-Parlamentarier eine solche Erklärung abgeben. Zumindest innerhalb der Opposition könnte es da weitergehendes Interesse geben. Bei der Regierungskoalition gäbe es wohl nur einen, auf dessen Verstand man hoffen könnte: Sven Kohlmeier.

Glaskugel

Ein paar Hundert aktive Berliner werden schon zusammen kommen, vielleicht auch ein paar Tausend. In jedem Fall würden viele dort reingucken und Journalisten würden den Regierenden unangenehme Fragen stellen. Man stelle sich vor, da würde zum Beispiel ein alternativer Haushalt entstehen. Es könnte gelingen, die Politik bis zur nächsten Berlinwahl nachhaltig zu verändern. Diese Veränderung, die die klassische Parteienpolitik schwächen würde, wäre wahrscheinlich die größte seit der französischen Revolution. Ich stelle mir gerade vor, wie Klaus Wowereit 2016 sein Spieglein an der Wand fragt, wer denn der einflussreichste Politiker im Land Berlin sei und das Spieglein antwortet: „Du, Klaus, aber hinter den 14 Piraten, die Bürger im Liquid, die sind noch viel einflussreicher als du.“

Update: Ja, ich weiß, es sind 15 Piraten. Da hat mir meine Glaskugel einen Streich gespielt. Bitte entschuldigt!

Der Wulff-Rücktritt

Nachdem mich wieder so viele Leute um eine sprachliche Bewertung der Rücktrittsrede von Christian Wulff gebeten haben (Youtube), komme ich diesem Wunsch hier nach, obwohl die sehr kurze und trocken abgefasste Rede nicht soviel hergibt wie andere.

Durch die Wahl des Perfekts gleich im ersten Satz – und im weiteren Verlauf durch das Präteritum – ist von vornherein klar, dass Wulff zurücktreten wird, das macht die Rede von Anfang an unspannend.

Die Rede ist sehr persönlich gehalten. Diesmal kommt das impersonale Pronomen man nicht vor. Dafür umso häufiger die erste Person Singular. An zwei Stellen sagt Wulff sogar: „Ich bin davon überzeugt, dass …“, benutzt also eine Formulierung die den persönlichen Charakter der Aussage noch unterstreicht, denn seine Überzeugung hätte er äußern können, ohne sie mit so einer performativen Formel einzuleiten:

„Ich bin davon überzeugt, dass Deutschland seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Kraft am besten entfalten und einen guten Beitrag zur europäischen Einigung leisten kann, wenn die Integration auch nach innen gelingt.“

Er hätte genauso gut sagen können:

Deutschland kann seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Kraft am besten entfalten …

Die prominente Nennung der Wirtschaft an dieser Stelle zeigt im Übrigen noch einmal, wem sich Christian Wulff verpflichtet fühlt.

Auch die erste Person Plural wird verwendet, zweimal inklusiv mit Bezug auf ‚wir Deutschen‘: „wir gestalten unsere Zukunft gemeinsam“, „Unser Land“. Nur als es um die Medienberichte geht, verwendet er es exklusiv mit Bezug auf „meine Frau und ich“.

Auf dem Höhepunkt der Rede wählt Wulff ungewöhnliche Formulierungen: „Aus diesem Grund wird es mir nicht mehr möglich, …“ Hier beißt sich das Verb werden, das eine Veränderung anzeigt mit dem Adverb mehr, das eine zeitliche oder quantitative Begrenzung bezeichnet. Bei der Formulierung: „Ich habe in meinen Ämtern stets rechtlich korrekt mich verhalten.“ ist das späte Auftreten des Objektpronomens auffällig, das eigentlich nach dem Hilfsverb habe stehen sollte. Vielleicht hatte er zunächst: „Ich habe … korrekt gehandelt.“ sagen wollen, wobei die Wahl von „mich verhalten“ die Bedeutung von korrekt auf interessante Weise verschiebt:

Das Adjektiv korrekt bedeutet eigentlich ‚richtig, fehlerlos‘, in Verbindung mit sich verhalten kann es auch ‚fair, angemessen‘ bedeuten (was allerdings nicht zu der Modifizierung mit rechtlich passt). Nur so lässt sich der Widerspruch erklären, der in Wulffs zentraler Aussage steckt:

„Ich habe in meinen Ämtern stets rechtlich korrekt mich verhalten. Ich habe Fehler gemacht, aber ich war immer aufrichtig.“

In der Grundbedeutung von korrekt wäre: „Ich habe Fehler gemacht“ ein deutlicher Widerspruch. Interessant ist dabei, dass korrekt und aufrichtig etymologisch verwandt sind. Beide – Aufrichtigkeit und rechtliche Korrektheit – bleiben allerdings noch zu prüfen.

Der allerletzte Satz gibt Rätsel auf:

„Und ich wünsche allen Bürgerinnen und Bürgern, denen ich mich vor allem verantwortlich fühle, eine gute Zukunft und schließe Sie alle dabei ausdrücklich mit ein.“

Unklar ist hier, wer und was mit der abschließenden Formulierung gemeint ist: „und schließe Sie alle dabei ausdrücklich mit ein.“ Die anwesenden Journalisten? Das erscheint nicht sehr sinnvoll, denn sie sind ja eh Bürgerinnen und Bürger. Der Sinn der Formulierung bleibt offen, vielleicht wurde sie deshalb auch in der Wiener Zeitung weggelassen.

Trotz des Rätsels im letzten Satz ist es ein eher langweiliger Text, wie man ihn von Christian Wulff erwartet hatte.

Update: Nach den vielen Kommentaren hab ich mir das Video noch mal angesehen. Es sieht tatsächlich so aus, als meine Wulff am Ende die anwesende Presse. Gut, eine Captatio benevolentiae (‚Einfangen von Wohlwollen‘) in Richtung Presse passt natürlich ans Ende seiner letzten öffentlichen Äußerung als Bundespräsident – und vielleicht überhaupt, denn wer will ihm jetzt noch zuhören?