Nachdem ich politische Versammlungen beobachtet und selbst auch mehrfach geleitet habe, möchte ich gern ein paar Tipps zusammenstellen, wie man erfolgreich eine Versammlung leitet. Das ist sicher nützlich, da immer mehr Leute in die Situation kommen werden, solche Versammlungen zu leiten. Falls Ihr Erfahrungen habt, fügt sie doch bitte hinzu.
Das Wichtigste bei der Leitung einer großen Versammlung ist ein gewisses Gefühl für die Stimmung. Das wird auch gern als Empathie bezeichnet und ist die wichtigste Eigenschaft für den Versammlungsleiter. Nach kurzer Eingewöhnungszeit gewinnt man sehr schnell ein Gefühl dafür, wie die Versammlung „tickt“. Die Stimmung, die einem entgegenschlägt, sollte man nicht ignorieren.
Hier jetzt ein paar konkrete Punkte
Das Präsidium (also die Versammlungsleiter, ihre Helfer usw.) müssen vorn (am besten erhöht) an einem Tisch sitzen. Das ist sehr wichtig! Leider wurde es auf Bundesparteitagen der Piraten nach dem Parteitag 2009 in Hamburg komplett vernachlässigt, was zu ziemlicher Unruhe und Stress sowohl im Saal wie bei der Versammlungsleitung führte. Daher meine dringende Bitte für das nächste Mal: einfach mal hinsetzen! Der Grund: Unruhe auf der Bühne, insbesondere das Herumgehampel gewisser Leute, überträgt sich natürlich auf die Versammlung. Der Grund sind die berühmten Spiegelneuronen: Die Zuschauer beobachten die Versammlungsleitung, so dass schließlich alle unruhig werden.
Du bist nicht allein!
Ein Versammlungsleiter sollte nie allein agieren: am besten sitzt er am Tisch mit zwei Helfern, von denen einer immer in der Lage ist einzuspringen, und der andere zum Beispiel als Vertreter der Antragskommission die eingehenden Anträge dem amtierenden Versammlungsleiter vorlegt. Wenn es auch noch einen Wahlleiter gibt, sollte er auch immer vorn sitzen, damit er bei Abstimmungen gleich greifbar ist und nicht erst herbeigeholt wird. Außerdem gilt auch für den Wahlleiter der Spiegelneuroneneffekt. Jemand, der nicht ruhig auf seinem Platz bleiben kann, ist eben nicht geeignet.
Sei bereit!
Ein Versammlungsleiter sollte die Geschäfts- und Wahlordnung gut kennen. Am besten hat er immer ein Exemplar vor sich und sollte es natürlich auch vorher gelesen haben. Er sollte zudem wissen, was es mit GO-Anträgen auf sich hat und wie sie funktionieren. Leider ließen sich da in der Vergangenheit immer wieder Unsicherheiten beobachten.
Mach mal Pause!
Eine Versammlung sollte genug Pausen haben. Wenn’s mal ein Durcheinander gibt, ruhig mal eine Pause machen! Idealerweise sollte der Versammlungsleiter ein Gefühl dafür haben, wann eine Pause erforderlich ist. Auf keinen Fall sollte der Versammlungsleiter, ohne die Sitzung unterbrochen zu haben, kleinere Kunstpausen einlegen, um sich zu beraten, um sich vom Publikum abzuwenden oder sonst irgendwie die Versammlung ins Stocken bringen. Nötigenfalls muss er sich halt ablösen lassen.
Selber machen!
Der Versammlungsleiter ist Herr der Versammlung und auch der Geschäftsordnung. Der Satz: „Ich brauche jetzt einen Geschäftsordnungsantrag!“ ist unsinnig, denn der Versammlungsleiter kann selbst die Rednerliste schließen oder eine begrenzte Redezeit festlegen; wenn er das für richtig hält. Wenn die Versammlung anderer Meinung ist, wird sich jemand melden. Dabei sollte er sich von seiner Empathie leiten lassen.
Wer leiten will, muss freundlich sein!
Der Versammlungsleiter sollte sich strikt an die GO halten und unzulässige Abweichungen abweisen. Natürlich immer freundlich, aber bestimmt. Als ultima ratio kann er natürlich mal laut werden, aber sparsam! Es fällt manchmal schwer, gegenüber Versammlungs- und GO-Trollen die Contenance zu wahren, aber das ist sehr wichtig. Es ist besser, noch mal freundlich zu fragen, ob alle abgestimmt haben, und nicht laut herunterzählen! Eine Versammlung ist keine Versteigerung. Wenn jemand zu lange redet, sollte der Versammlungsleiter nicht davor zurückschrecken, ihm das Wort zu entziehen – ungeachtet der Person und wie immer freundlich, aber bestimmt.
Augen auf!
Um ein Gefühl für die Versammlung zu bekommen, sollte man sie nie aus den Augen lassen. Wegdrehen, aufstehen und weggehen (außerhalb der Pausen) geht gar nicht! Leider wird das zu wenig beachtet. Auch dafür ist es hilfreich, vor der Versammlung zu sitzen. Auf das, was in der Versammlung passiert, sollte man reagieren.
Don’t panic!
Wenn es mal brenzlig wird, Ruhe bewahren! Zur Not kann man eine Pause machen.
Heilig, heilig, heilig!
Heilig sind:
- Geschäfts- und Wahlordnung: die sind unbedingt ernst zu nehmen; nötigenfalls muss man sie ändern;
- Tagesordnung: nicht abweichen! Nötigenfalls muss sie geändert werden. Natürlich kann, wenn ein Tagesordnungspunkt begonnen wurde, dieser nicht mehr umgestellt werden. Auch ein Tagesordnungspunkt, der abgeschlossen wurde, ist abgeschlossen. Wenn die Versammlung es will, kann die Tagesordnung natürlich geändert werden (außer bei bereits begonnenen Punkten) und auch abgeschlossene Punkte erneut aufgerufen werden. So etwas sollte aber die Ausnahme sein.
- Rede und Wahlhandlungen: Wenn jemand redet, sind GO-Anträge unzulässig, auch dürfen Diskussionen und Wahlhandlungen nicht vermengt werden. Auch während einer Wahlhandlung sind keine GO-Anträge möglich.
Bedenke das Ende!
Jede Versammlung sollte einen geplanten Endzeitpunkt haben, der nach Möglichkeit eingehalten werden soll. Diesen sollte der Versammlungsleiter im Blick haben. Ausufernde Diskussion sollten bei Zeitmangel vermieden werden, vor allem wenn der Endzeitpunkt überschritten ist, sonst werden am Ende nur noch zufällige Minderheiten entscheiden: diejenigen, die noch da sind, diejenigen, die auch noch zu später Stunde wach und konzentriert sind, diejenigen, die es darauf anlegen, zum Schluss noch Positionen durchzupeitschen, die sonst chancenlos wären. Es ist ganz wichtig, rechtzeitig zu schließen. Open-End-Veranstaltungen sind auf jeden Fall zu vermeiden.